NOVIEMBRE – RETROSPECTIVA

I. PRISA
Heiliger Bimsbams! Es ist 04:00 morgens und doch habe ich verschlafen. Mein Unterbewusstsein hat das Aufwachen verhindert und irgendwann schaltete der Wecker sich eben wieder aus. Dabei soll es doch zum Flughafen gehen. Diese unmittelbare Erkenntnis resist mich aus dem Bett und die verpassten Anrufe meiner besorgten Begleiter entfesseln gefuehlt einen Liter an Adrenalin: Von jetzt auf gleich bin ich hellwach und stehe drei Minuten spaeter an der Pfoertnertuer. Es ist kalt, dunkel und veregnet – zudem stellt sich mir die Frage nach einem Taxi. Ploetzlich erinnere ich mich an meine gute Freundin Esra und die Empfehlung zur Uber-App. Gesagt, getan: Ich zuecke meinen Wischapparat und bestelle zum ersten Mal einen Uber, welcher als frueher Vogel bereits in 2 Minuten vor der Tuer steht. Andres ist sein Name, er ist gut gelaunt und weiss seinen edlen Wagen gut zu steuern. Tatsaechlich brausen wir im Sausewind durch die Metropole und ueberqueren auch rote Ampeln sicher und zuegig. Dank Andres und dem niederlaendischen Unternehmen erreichen wir trockenen Fusses und vorallem puenktlich den Airport Alfonso Bonilla Aragon.

II. LEHREN & LERNEN
Nicht alle Lehrer der DS sprechen zwangslaeufig Deutsch und fuer viele Kolumbianer ist dies auch nicht wirklich notwendig – jedoch logischerweise wuenschenswert. Ueber das Goethe-Institut werden Sprachkurse speziell fuer die Lehrkraefte angeboten und es ist stets ein schoener und ueberraschender Moment, wenn ihnen mal ein “Guhten Morrrgen” oder aehnliches entfleucht.
Gleichzeitig steht die Deutsche Schule auf kolumbianischen Boden und gute Spanisch-Kenntnisse der Deutsch-Fachschaft sind im Gegenzug genauso zu erwarten. Tatsaechlich ist es ein beidseitiger Lernprozess und es ist jedem selbst ueberlassen, die Zuegel zur Sprachfestigung in die Hand zu nehmen.
Die 6. Klasse hat eigentlich bei Sandra Basketball, doch diese ist heute anderweitig beschaeftigt und der Kollege German ist als Ersatz eingesprungen. Aus einem anfaenglichen Small-Talk (auf Deutsch!) entwickelte sich ein angeregtes Gespraech ueber das Hier und Jetzt (Unterricht), Vergangenheit (Inhalte im Sprachkurs) sowie Zukunft (anstehende Pruefung am Ende des Monats). Waehrend German im sitzen von der Bank aus das Basketballspiel leitet und parallel ganz schoen plaudert, unterbreche ich ihn gelegentlich mit Rueckfragen und Korrekturen (Vergangenheitsformen unregelmaessiger Verben, Pronomen, Praepositionsgebrauch, etc.). Tatsaechlich tratschen wir zweisprachig und kommentieren die Spielzuege: Eine sehr ausgelassene und lehrreiche Sportstunde – fuer die Lehrer.

III. DIE SALATBAR
Wer den letzten Beitrag – “La papa rellena” gelesen hat, weiss wie es kulinarisch um mich steht: Seit drei Monate komme ich nun schon in den Genuss der kolumbianischen Kueche, welche doch bei weitem ueber “Pollo con arroz” hinausgeht und mir gelgentlich vor Staunen Augen und Mund weit oeffnete.
Mittagessen gibt es in der Cafeteria ab 12:00 und puenktlich zum Pausenklingeln erfolgt ein enormer Ansturm auf das Kuechenteam. Dieses nimmt es gelassen und erfuellt nahezu jeden Wunsch. Als Lehrer koennen wir das Essen vorbestellen und somit die Schlange umgehen. Meiner Ansicht nach ist neben der Suppe als Vorspeise (oft mit Huhn, jajaja) und dem Hauptgang (wechselnde Proteine, stets mit Reis und Karoffeln oder Pasta) gerade die Salatbar erwaehnenswert, bietet sie doch gleich einem kalten Buffet eine grosse Gemuese- und Obstauswahl. Samt Nachtisch und Getraenke findet sich wahlweise drinnen, draussen unter dem Sonnensegel oder auch zwischen den Baeumen auf der Wiese ein bequemes Plaetzchen. Heute beschenkt uns die Kueche mit einer Lasagne tropical: Diese kombiniert Pasta mit Ananas, Kaese, Sahne und … Huhn.

IV. EIGENE SPIELREGELN
Mit Wettkaempfen hatte ich bisher oft im Geraetturnen zu tun: Sowohl als aktiver Turner als auch im Kampfgericht sammelte ich Erfahrungen im koerperlichen Leistungsvergleich. Nun also die Nationalen Spiele der Deutschen Auslandsschulen (siehe dazu seperater Beitrag) in Medellin: 16 Sportlehrer und ein Praktikant haben sich im Sitzungsraum der Bibliothek eingefunden und es gilt im “Congreso Tecnico” ueber die Regeln & Abmachungen in den Sportarten und Disziplinen zu entscheiden. Ich geselle mich zu den vier Schwimmlehrer und wir gehen mit dem externen Pruefer die Rahmenbedingungen durch (Beckenlaenge, Reihenfolge der Stile, etc.) und entscheiden darauf ueber die Details wie Einschwimmzeit, Wendearten, Fehlstart etc. Fuer mich als angehender Sportlehrer ist die Sitzung sehr spannend zumal soviel geballtes Fachwissen aufeinandertrifft und ich selbst gut mit dem Schwimmreglement vertraut bin. Zwischendurch gibt es Getraenke und Schnabuleien – nach zwei Stunden ist alles beschlossen und wir quatschen in der BiB weiter. Dann wird der Westermann Atlas gezueckt und die “Auslaender” erzaehlen ein bisschen von der Heimat und welche Dialekte nun in Berlin, Hamburg oder Freiburg gesprochen werden – was fuer ein kultureller Austausch unter Sportlehrern!

V. GROSS-STADT-SHOPPING
Mich selbst wuerde ich nicht als Liebhaber der Grossstaedte bezeichnen – mir gefallen die kleinen Staedte, ja fast Doerfer aufgrund der leichten Erreichbarkeit aller Geschaefte und Freunde deutlich besser. Ferner ist das Leben weniger anonym und damit weniger abstrakt: Die Nachbarn gruessen sich und es gibt kaum Ecken, die einem noch voellig fremd sind.
Auf der anderen Seite bedeutet eine Metropole auch immer ein grosses Angebot, die Moeglichkeit frei waehlen zu koennen. An einen schoenen Samstag Vormittag machen Alfonso und ich uns auf den Weg. Er als waschechter Grossstadtmensch moechte mir Cali schmackhaft machen und ich gebe vor, Lautsprecher und Schuhe zu suchen. Den gesamten Tag tauchen wir ein in die schoensten Bezirke der Stadt, halten inne vor den Sehenswuerdigkeiten und durchstoebern auch in den dunkleren Ecken die breite Auswahl auf den inoffiziellen Maerkten.
Als wir abends heimkehren, haben wir so ziemlich alles gesehen: Die besten Faelschungen der frisch veroeffentlichen neuen Nikes (sogar in 47!) in Carrera Octava, die Erzaehler im Amphitheater auf dem Huegel bei San Antonio, die Elektronik-Bastler und ihr Sortiment in den vielzaehligen Ladenkammerchen in San Andresito, das Kunsthandwerk im Parque Loma de la Cruz, die Leckereien in den Strassen von Santa Librada, den “Altstadtkern” mit der Bruecke Ortiz und der weissen jedoch sonst bescheidenen Kathedrale sowie schlussendlich die vielen Eindruecke des pulsierenden Lebens der Stadt auf dem Heimweg als die Sonne laengst untergegangen ist und sich tausende Lichter entzuenden.

VI. SEI FISCH MEIN FREUND
Warmwasser ist in Kolumbien eher untypisch: Sowohl beim Abwasch Zuhause als auch unter der Dusche verwenden fast alle (egal welcher sozialen Schicht angehoehrend) das kuehle Nass und verzichten auf eine Temperaturregelung – draussen ist es ja warm genug und mittlerweile geniesse ich den morgendlichen Schock im Bad.
Umso seltsamer war die Erfahrung beim ersten Mal Schwimmen in der Schule: Das stolze Becken neben der Cafeteria zaehlt auf sechs Bahnen a 25m sowie sechs Duschen hinter den Startblocks. Diese Duschen verfuegen tatsaechlich ueber warmes Wasser und als waere das noch nicht genug, ist auch das zum Himmel voellig unbedachte Schwimmbad mit angenehmer Temperatur beschenkt (Tipo 25 Grad).
Als Lehrer, Putzkraft, Praktikant etc. haben wir jeden Dienstag und Donnerstag im Nachmittag ausgiebig Zeit unser Schwimmtraining zu absolvieren. Wahlweise mit eigener Trainingsgestaltung oder unter Anweisung von einem der beiden Sportlehrer, welche die Aufsicht uebernehmen und auch mir gute Tipps gaben (zum Bleistift zur Handhaltung beim Wasserfassen waehrend des Schmetterlings). Unterm Strich ist so ein Pool auf den Schulgelaende Gold wert und gerade wegen der kurze Anreise ein unermesslicher Schatz. Als leichtgewonner Stammgast verlebte ich so machen Sonnenuntergang auf der mittleren Bahn und verliess das Becken nach dem Abbaden mit schwerem Herzen.

VII. EINMAL NACH ITAGÜI UND ZURUECK
Medellin, kurz nach vier. Obwohl Swantje, Esra und ich die Nacht sehr unterschiedlich verbracht haben (Partymaeuse vs. krankes Huhn im AirBnB Stuetzpunkt) so haben wir doch in der Frueh zueinander gefunden und geniessen den von Swantje zubereiteten Haferschleim. Die Maedels bringen richtig Schwung und eine gute Stimmung mit sich und stecken mich mit ihrer Euphorie an. Kurioserweise sind wir zwar in der selben Stadt, jedoch sieht unser Tagesablauf sehr unterschiedlich aus: Waehrend ich die Tage stets mit der Sportdelegation an der Deutsche Schule Medellin verbringe, begeistern sich die zwei fuer die Geschichte hinter der Person Sr. Escobar und brechen auch deshalb zur Tour “Hacienda Napoles” auf –das ehemalige Domizil des Kartellchefs und modernen Robin Hoods. Da ihr Bus scheinbar nahe des Colegio Aleman abfaehrt, entscheide ich mich die zwei trotz der fruehen Stunde zu begleiten. Als Taxi dient uns Uberfahrer Mateo – es soll die lustigste Kurzstreckenfahrt meines Lebens werden. Zum einen ist da Esra, welche Medellin schnell und tief in ihr Herz geschlossen hat, unablaessig von ihren jungen Erlebnissen schwaermt und eigentlich nicht zurueck nach Cali will. Zum anderen ist da unser gutherziger Fahrer, welche interessiert nachfragt und auf die eine oder andere Ecke der Grossstadt naeher eingeht. Die Stimmung ist ausgelassen, sowohl im Cockpit als auch auf der Rueckbank: Die Disko scheint sich verlagert zu haben. Doch dann folgt die Ernuechterung – Erstens stimmt die Adresse nicht (verherender Zahlendreher) und zweitens sitzt den Maedels nun die Zeit im Nacken, da die Anschrift nicht Itagui im Sueden sondern eine Haltestelle im Norden der Metropole ausspuckt.
04:33, Mateo uebernimmt die Rolle des ehrgeizigen Chaffeurs und so heizen wir ueber die Autopista gen Norden – Esra wedelt mit einem Buendel voll Scheinen und verspricht Geschwindigkeitsbonus waehrend Swantje erstaunlich unbekuemmert und gefasst wirkt: Die Tour ist fuer 500.000 COP (rund 150,oo Euro, alles inklusive) bereits gebucht und bezahlt und tatsaechlich schaffen wir es mit minimaler Verspaetung – uff.
Nachdem der Bus aus unseren Sichtfeld verschwindet, empfiehlt mir Mateo ein 24h Imbiss (05:15) und waehrend wir im Park Calentao verzerren (Omlett, Arepa, Bohnen und Kakao bzw. Tinto), steig ueber die mittlere Kordilliere die warme Sonne – was fuer ein Start in den Tag.

VIII. DER GUTE GEIST
Waehrend es in Deutschland nicht untypisch ist, dass einmal die Woche die Putzfrau (oder der Putzmann) vorbeischaut, so hat in Kolumbien fast jede Familie taeglich eine oder mehrere Empleadas. Diese entlasten den Haushat und sorgen fuer eine erfrischende Stimmung in den eignen Vier-Waenden. Obwohl die Aufgaben meist von Familie zu Familie aehnlich sind (Fegen und Wischen der Wohnung, Waschen und Buegeln der Kleidung, Einkauf und Zubereitung der Mahlzeiten, Bringen der Zeitung, Annehmen von Sendungen und Anrufen sowie Aufraeumen der Zimmer inkl. Bettrichten etc.), so bringt doch jede Haushilfe ihren eigenen Stil mit sich. Unser guter Geist heisst Marta und sie versteht es mit Leichtigkeit die Wohnung in Schuss zu halten. Zudem zaubert sie gerne in der Kueche und ihre Arepas mit Omlett am Morgen sowie Reiskreationen am Abend versuessen mir das Leben in der Gastfamilie ungemein. Zudem ist sie stets fuer einen Schnack zu haben und so laesst es sich gut ueber Rezepte, deutsche Partnerboersen und die Nachbarschaft tratschen. Nicht zuletzt hat sie mir auch das „richtige“ Bettmachen gezeigt: Dies ist eine Kunst fuer sich und erfordert praezise Handkantenschlaege, das Anheben der Matratze zur Verstauung der Lakenkante und den finale Handstrich welcher einem Buegeleisen gleicht.

IX. METAEBENE DER SCHULE
Die Deutsche Schule bietet neben den “normalen” Faechern eine breite Auswahl an zusaetzlichen Klassen wie zum Bleistift Chor, Geraetturnen, Inline-Skating und eben auch Theater. Letzteres weckt schnell mein Interesse und eines Mittwoch Nachmittags gebe ich mir einen kleinen Ruck und lerne Nestor samt den 11 Schuelern kennen. Alle tragen schwarze Kleidung und in der darauffolgenden Woche fange ich an mit ihnen zu verschmelzen: Nach einer kleinen Erwaermung bauen wir in der 3er Gruppe einen Konflikt zu einer frei erfundenen Geschichte auf. Letztere hat einen Anfang, Klimax und ein Ende – interessanterweise beginnen wir mit dem Hoehepunkt und bauen Vor- und Nachgeschichte drumherum.
Es ist viel Kommunikation auf allen Ebenen: Durch Gestik, Mimik, Haltung sowie natuerlich durch Sprechen, Schreien und Fluestern verstaendigen wir uns bzw. inszenieren fuer einige Minuten eine Scheinwelt unter der kritischen Beobachtung des Lehrers. In der letzten Woche meine Praktikums faellt mir und den anderen der Abschied nicht leicht: Wiedereinmal zeigt sich die Herzlichkeit der Kolumbianer von ihrer besten Seite und Kontakte werden ausgetauscht, um in Verbindung zu bleiben und ein Wiedersehen zu ermoeglichen. Nach einer Gruppenumarmung versuesse ich uns den Abschied mit massig M&M’s fuer alle und kippe somit schnell die Stimmung in Richtung Heiterkeit.


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